Kunstedition Aargauer Kuratorium
Das Aargauer Kuratorium vergibt an ausgewählte Aargauer Künstlerinnen und Künstler sowie non-binäre Kunstschaffende einmal jährlich den Auftrag, eine limitierte Kunstedition herzustellen. Inhaltliche Vorgaben werden dabei bewusst nicht vorgenommen, so dass die Edition von den Kunstschaffenden als «carte blanche» genutzt werden kann. Die Vielfalt der bisher entstandenen Arbeiten reicht von Zeichnung, Aquarell, Fotografie bis hin zu kleineren skulpturalen Objekten. Die Kunstedition wird jeweils allen geförderten Kunstschaffenden an der Beitragsfeier als Geschenk überreicht, welche mit Werk- und Förderbeiträgen sowie Atelieraufenthalten beehrt wurden.
Kunstedition 2024 — Valérie Balmer
Briefe als persönliche Hinterlassenschaft und zugleich als historisches Zeitdokument faszinieren Valérie Balmer. Diese Papierbogen, die nach der Lektüre abgelegt und so für lange Zeit liegen bleiben, vergilben unter dem Licht und tragen zum Teil Eselsohren, sind gezeichnet durch die Spuren des Gebrauchs und der Zeit.
Es ist in erster Linie diese ihre Materialität, welche die Künstlerin zu der vorliegenden Werkserie inspirierte. Doch warum wählt die Künstlerin Glas als Bildträger zur Darstellung von Papierbogen? Ölfarbe auf Glas kommt der Künstlerin entgegen, die sich nicht als Malerin versteht, sondern ihre künstlerische Praxis als Arbeit «am Objekt» definiert, als Auftragen und Abschleifen von Farbe auf einem Träger. Anders als ein Farbauftrag auf Leinwand oder Papier verbindet sich die Ölfarbe nicht mit dem Glas, sondern haftet erst nach einem langwierigen Trocknungsprozess, als Bedingung für den nächsten Arbeitsschritt, das Auftragen einer weiteren Farbe. Zudem besitzt Glas noch andere Qualitäten, welche die Künstlerin schätzt. Es intensiviert und vertieft die rückseitig aufgetragenen Farben und schafft durch seine glatte, lichtreflektierende Oberfläche eine Distanz zwischen Arbeit und Betrachter. Für die Briefbogen, die je nach ihrer Ablage unterschiedlich stark verblichen sind, wählt die Künstlerin aufeinander abgestimmte Erdtöne, die einen an Graukarton und Packpapier erinnern. Die unzähligen Variationen, wie gleich grosse, rechteckige Flächen verschoben aufeinander liegen können, sind Thema der vorliegenden Serie. Man denkt sofort an Konstruktive Kunst, für einmal in sehr reduzierten Farben vorgeführt. Doch Achtung, die abgerundeten Ecken der Flächen und die Eselsohren, deren Platzierung und Anzahl variieren und weiteres Motiv sind, beweisen, dass die Künstlerin an der Gegenständlichkeit ihrer Bildsprache festhält.
Valérie Balmer rekonstruiert in einem zeitlich aufwändigen Arbeitsprozess ihre «objets trouvés historiques» Schicht um Schicht und präsentiert uns so geschichtete Geschichte, entrückt hinter Glas. Eva Bechstein
Zur Edition
Als ich die Künstlerin im Sommer 2024 im Atelier besuche, treffe ich auf ein «wildes Archiv». Auf einem Tisch liegen historische Dokumente herum: Briefe, Listen, Tagebücher, Fotografien u. a. m. Diese Zeitzeugnisse will die Künstlerin in ihren eigenen Werken festhalten, bevor sie sich auflösen.
Valérie Balmer arbeitet mit der «Spurensicherung» als künstlerisches Verfahren, hierbei geht es um Aspekte wie Archäologie, Erinnerungskultur und das Sammeln von Alltagsgeschichte(n). Das von ihr gefundene Material (sogenannte «objets trouvés historiques») besitzt Aura und Patina: da gibt es verblichene Weisstöne, vergilbte Schriften, sich ablösende Klebestreifen, abgegriffenes oder durch Nässe ausgewaschenes Papier. Die Künstlerin hat diese Spuren mit dem Gespür einer Forsensikerin erfasst, dokumentiert und anschliessend in einem handwerklich aufwendigen Malakt für unsere Kunstedition ins Werk gebracht.
Wenn die Edition den Titel «LETTRE» («Brief») trägt, dann erinnert dies daran, dass wir Menschen immer in Geschichten verstrickt sind, erzählend durch Schreiben und Sprache. Die «leeren» Seiten der Glas-Briefe bieten Platz für Phantasie, einerseits für die Resonanz zu unsichtbaren Dokumenten aus der Geschichte, anderseits aber auch für unsere tradierten oder noch zu schreibenden Einzelgeschichten.
Valérie Balmers Werkserie ermöglicht es, dass wir uns mit unserer ganzen Seele ins Werk hineinimaginieren können, mit unseren Leidenschaften, unseren Trieben, unserem Charakter, unserer Liebe, unserem Hass, unser Trauer, unserer Freude. Das, ja das kann nur die Kunst. Valérie, wir sagen Danke. Paolo Bianchi
Zur Künstlerin
Valérie Balmer (*1961) ist im Kanton Aargau aufgewachsen. Sie lebt und arbeitet in Lenzburg, wo sie in der Wisa-Gloria-Spielzeug-Fabrik ein Atelier unterhält. In den 80-Jahren hat sie an der Kunstakademie Florenz studiert und an der Hochschule für Gestaltung in Luzern im Bereich Kunst. Sie hat 1989, da ihr Talent früh erkannt worden ist, einen Förderbeitrag des Aargauer Kuratoriums erhalten. Mit Beginn der 90er-Jahrer realisierte sie zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, dies in renommierten Galerien und Kunstinstitutionen — im Kanton Aargau, Luzern, Solothurn und Bern. Ihre Werke sind auch an der Auswahl im Aargauer Kunsthaus Aarau zu sehen.
Valerie Balmer, LETTRE, 2024, Öl auf Glas, 100-teilig, je 24 x 17,5 cm.
Kunstschaffende 1993—2023
2023 Manuela Cossalter
2022 Ester Vonplon
2021 Max Matter
2020 Agnes Barmettler
2019 Jubiläumspublikation *
2018 Rolf Winnewisser
2017 Sonja Feldmeier
2016 Michael Günzburger
2015 Cédric Eisenring
2014 Patrizia Bucher
2013 Valentin Hauri
2012 Silvia Bächli
2011 Claudio Moser
2010 Zobrist/Wäckerli
2009 Daniel Robert Hunziker
2008 Barbara Müller
2007 Jürg Stäuble
2006 Marianne Kuhn
2005 Franziska Furter
2004 Georg Aerni
2003 Stefan Gritsch
2002 Irene Wydler
2001 Sabina Baumann
2000 Max Woodtly
1999 Christian Rothacher
1998 Henrik Frei
1997 Buchillustrationswettbewerb **
1996 Vreny Brand
1995 Max Matter
1994 Mona Blatter
1993 Hugo Suter
* Anstelle einer Kunstedition wurde die Jubiläumspublikation «Sauerstoff für Kunst und Kultur — 50 Jahre Kulturgesetz und Kuratorium im Aargau» veröffentlicht.
** Anstelle einer Kunstedition fand ein Buchillustrationswettbewerb statt.